S27 – Kunst und Bildung

Experimentelles Erforschen

Das Berliner Stadtlabor „S27 – Kunst und Bildung“ ermutigt junge Menschen verschiedener Herkunft, mit kreativen Mitteln und Methoden die Welt zu verändern.

 

Das Wort „Cucula“ stammt aus der westafrikanischen Sprache Haussa und bedeutet „etwas zusammenfügen, verbinden“. Diesen Begriff wählte das S27-Team als Namen für ein Projekt, bei dem es sowohl auf gegenständlicher Ebene als auch im übertragenen Sinn um Zusammenfügen und Verbinden ging. Es eröffnete 2014 die experimentelle Werkstatt CUCULA, in der junge geflüchtete Menschen aus Westafrika lernten, in Anlehnung an die DIY-Möbellinie Autoprogettazione des italienischen Designers Enzo Mari eigene Möbel zu bauen. Im Verlauf des Projekts entstand daraus die von S27 losgelöste Refugees Company for Crafts and Design, die den Teilnehmern den Weg in Berufsausbildungen, den Arbeitsmarkt und in die neue Gesellschaft ebnete.

 

S27 versteht sich als Stadtlabor für kreative Forschung von und mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es wird vom Verein zur Förderung der interkulturellen Jugendarbeit e.V. getragen und wurde bereits Anfang der 1980er Jahre unter dem Namen Schlesische27 gegründet – angelehnt an den Standort in der Schlesischen Straße 27, wobei das Team inzwischen den verkürzten Namen S27 nutzt.

Projekt: Cucula [Foto: © Verena Brüning]

Gemeinsam mit Kulturschaffenden aller Sparten und Kreativen aus Handwerk und Wissenschaft entwickelt das Team innovative Bildungskonzepte, bei denen junge Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund ihre schöpferischen Fähigkeiten entfalten und dadurch aktiv an der Weiterentwicklung der Gesellschaft und ihrer Umwelt teilnehmen können. Die Projekte zielen darauf ab, die Sinne der Jugendlichen zu schärfen und sie dazu zu inspirieren, Utopien zu entwickeln und auszuprobieren.

 

Das junge Kunst- und Kulturhaus bearbeitet ein breites Spektrum an Themenfeldern: Neben sozialer Transformation, Demokratieentwicklung und Dekolonialisierung geht es etwa um Stadt-Raum-Veränderungen. Außerdem widmet sich S27 der Kultur des Handwerks und der Arbeitswelten und fokussiert zirkuläre Prozesse, Recycling und Re-Design. Darüber hinaus setzt sich das Team auch mit Zeit/Geschichte und Erinnerungskultur auseinander. Für seine Arbeit wurde es unter anderem mit dem Roman-Herzog-Preis und dem BKM-Preis Kulturelle Bildung ausgezeichnet.

 

 

Projekt: Weltstadt [Foto: © Fred Moseley/S27]

 

Die Projekte bieten vielfältige Anknüpfungspunkte – sowohl für einheimische Jugendliche als auch für geflüchtete. Beim Projekt Teufelsberg Opera (2018) ging es beispielsweise darum, der verschütteten Geschichte Berlins nachzuspüren. Auf dem erforschten Gelände liegen Scherben, Türgriffe, Kabel und Trümmerreste, die von der Zerstörung Berlins im Zweiten Weltkrieg zeugen. In den gemischten Gruppen waren auch syrische und afghanische Jugendliche, deren Dörfer und Städte vor ihrer Flucht zerstört worden waren. Zusammen mit der Neuköllner Oper und Zeitzeugen ging der Kurs auf Spurensuche und erforschte, wie aus den Trümmern eine lebendige Stadt wachsen konnte. Basierend auf den Tonaufnahmen und den Fundstücken entstanden schließlich die Ausstellung „Archivraum Teufelsberg Opera“ und das Stück „Amnesie Atlantis“ des Jungen Ensembles der Neuköllner Oper. 

 

Projekt: Teufelsberg Opera [Foto: © Aris Kress-Kallidromitis]

 

Um die Erforschung des Stadtraums ging es auch beim Projekt CUCUwohnen (2019/20), das als experimentelle Wohnbaugesellschaft konzipiert war. Angesichts der hohen Mieten und des knappen Wohnraums machten sich die Teilnehmer auf die Suche nach verborgenen Orten und nutzbaren Nischen „für Einnistungen und spontanes Bauen“ und setzten dort ihre Ideen in Installationen um. Im Haus der Statistik baute zum Beispiel Sigma12, eine Gruppe von Studierenden und Auszubildenden, einen ungenutzten, mit Brettern vernagelten Schaufensterraum zu einem Kapselhotel um und stattete die einzelnen Zellen mit Matratze, USB-Anschluss, WLAN und Licht aus.

 

Projekt: Pushback Production [Foto: © Abdel Amine Mohammed]

Auch das Projekt Pushback Productions (2020) bot Jugendlichen mit unterschiedlichster Herkunft im wahrsten Sinne des Wortes spannenden Stoff: Der Workshop befasste sich damit, dass Europa in riesigen Mengen Altkleidung nach Afrika sendet, dadurch die lokalen Textilmärkte zerstört und den Menschen ihre Existenzgrundlage nimmt, aber gleichzeitig Pushbacks von Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer durchführt. Mit Partnern im Benin, in Kenia und Kamerun organisierte S27 die Umkehrung des Textiltransports. Eine halbe Tonne Altkleider wurde von den afrikanischen Märkten zurück nach Berlin verschifft.

 

Mit diesen Kleidern entwickelten die Teilnehmer diverse künstlerische Experimente. Manche verarbeiteten das Material an der Nähmaschine, andere formten damit Gipsabgüsse oder textile Skulpturen, die sie mittels verfestigtem Zucker stabilisierten. Der Umgang mit dem hin- und hergereisten Stoffen erlaubte den Jugendlichen einen hautnahen Zugang zu Themen wie ökonomische Ausbeutung und neokoloniale Praktiken. Aufgrund der unterschiedlichen Biografien der Teilnehmer konnte das Team den europäischen Kleiderkonsum aus diversen Blickwinkeln betrachten. Mit Projekten wie diesen beweist S27 immer wieder, dass der interkulturelle, künstlerisch inspirierte Austausch allen Beteiligten neue Horizonte eröffnet.

 

 

 

 

 

 

Introbild:

Projekt: Pushback Production [Foto: © Luis Krummenacher]

 

Saatguttüte: Lavendel

 

Weitere Informationen

Designer: Mario Lombardo