More Than Shelters

Das Sozialunternehmen More Than Shelters (MTS) setzt sich zum einen für Menschen in Krisengebieten ein, zum anderen für die Integration von Geflüchteten in Deutschland.

 

Ob in Krisenregionen, Katastrophengebieten oder an den Rändern Europas, wo Geflüchtete unter unmenschlichen Bedingungen leben – More Than Shelters hilft an vielen Orten weltweit, flexibel konfigurierbare Räume für Schulen, Kindergärten, mobile Krankenhäuser und soziale Interaktionen zu schaffen. Hierfür entwickelte MTS-Gründer Daniel Kerber in Kooperation mit Nordisk, einem dänischen Unternehmen für Outdoor-Ausrüstung, ein modulares Zeltsystem namens Domo.

Das Basiselement hat einen sechseckigen Grundriss und bietet einen iglu- oder jurten-ähnlichen Raum von 24 Quadratmetern. An den Seiten des Hexagons lassen sich weitere Module anbauen, sodass MTS größere Räume mit unterschiedlichen architektonischen Strukturen gestalten kann, die speziell auf die jeweilige soziale Funktion und den kulturellen Kontext zugeschnitten sind.

 

Erweiterbare Räume: Domo-Zelte auf Lesbos [Foto: © MTS]

Mit temporären Behausungen hatte sich Daniel Kerber zuvor aus einer ganz anderen Perspektive auseinandergesetzt. Nach dem Studium der Bildenden Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf untersuchte er auf vielen Reisen die informelle Architektur, die sich Menschen in Flüchtlingslagern und Slums weltweit schaffen. Er verarbeitete seine Eindrücke in Rauminstallationen, die in Amerika, Italien, Österreich und Deutschland ausgestellt wurden. Die Erfahrungen in den Camps machten ihm jedoch klar, dass es sinnvoller wäre, etwas zu schaffen, das sich nicht nur an Kunstinteressierte in den Metropolen wendet, sondern das für die Vertriebenen in den Lagern maximale Wirksamkeit entfaltet. So entstand die Vision für das modulare Zeltsystem, das inzwischen zum Beispiel in Za’atari, dem größten Flüchtlingslager Jordaniens, in den Erdbeben-Gebieten Nepals, im Flüchtlingslager PIKPA auf Lesbos und entlang der Fluchtrouten zum Einsatz kam.

 

Während herkömmliche Flüchtlingszelte oft nur 6 bis 10 Monate halten und dann komplett ersetzt werden müssen, ist das Tragwerk von Domo dank einer Aluminium-Hohlprofil-Konstruktion so stabil, dass es der Witterung bis zu 10 Jahre standhält. Die recycelbare Außenhaut lässt sich bei Bedarf ersetzen, sodass insgesamt geringere Logistikkosten entstehen.

 

Schulunterricht im Domo-Zelt in Idomeni, Griechenland [Foto: © MTS]

Der Name des Sozialunternehmens – More Than Shelters – macht deutlich, dass es Kerber jedoch um viel mehr als den Aufbau geschützter Räume geht. Das Team, das Experten aus unterschiedlichen Disziplinen umfasst, unterstützt Menschen in Not auch durch andere Maßnahmen, um die Lebenssituation vor Ort nachhaltig zu verbessern. In Za’atari beteiligte sich MTS zum Beispiel an der Implementierung von Abwasser-Filter-Gärten und setzte sich für die Entwicklung einer Solarfarm ein. Außerdem initiierte es dort unter dem Namen „Bag 4 Life“ ein Upcycling-Projekt, bei dem 300 alleinerziehende Frauen Taschen aus alten UNHCR-Zeltstoffen herstellten, wodurch sie ihre finanzielle Situation verbessern konnten. MTS wirkte darüber hinaus auch bei der Planung für das zivilgesellschaftlich organisierte Flüchtlingslager PIKPA auf Lesbos mit. Diese Beispiele verdeutlichen den ganzheitlichen Ansatz des Teams – es berücksichtigt sowohl soziale und ökologische als auch ökonomische und politische Aspekte.

 

Neben dem Engagement in Krisengebieten hat MTS sich in Deutschland neue Arbeitsfelder im Bereich Urban Design eröffnet. Ziel ist es, Geflüchtete und Alteingesessene auf nachbarschaftlicher Ebene zusammenzubringen. In Berlin führt das Team verschiedene Integrations-Management-Projekte durch, etwa im Bezirk Charlottenburg, in Neukölln und Schöneberg-Tempelhof. Grundsätzlich geht es bei diesen Konzepten darum, alle Akteure – MTS nennt sie „Stadtnutzer:innen und Stadtmacher:innen“ – zu befähigen, gemeinsam die Zukunft des Viertels positiv zu gestalten. Darüber hinaus konzentriert sich Kerber derzeit darauf, die praktischen Erfahrungen auszuwerten, die Strategien für Transformationsprozesse weiterzuentwickeln und die Ergebnisse zu publizieren, um die Methoden anderen zugänglich zu machen.  

Nähprojekt im jordanischen Flüchtlingscamp Za’atari [Foto: © MTS]

 Durch das Hin- und Herpendeln zwischen den Flüchtlingslagern und der westlichen Gesellschaft setzte sich Kerber jahrelang mit der Frage auseinander, was man eigentlich zum Leben braucht und was einen glücklich macht. Einerseits sprach er mit Menschen, die zwar viel besitzen, aber dennoch unglücklich sind, andererseits mit Menschen, die zwar alles verloren hatten, ihn aber trotzdem mit großer Gastfreundschaft in ihr Zelt einluden. Diese Gespräche warfen neues Licht auf die Frage, was Reichtum bedeutet. „Für mich selbst habe ich herausgefunden, dass innerer Reichtum eben auch daher kommt, sinnvoll tätig zu sein“, erklärte er in einem Interview der Zeitschrift „Original“ (Ausgabe 06/2015).

Geprägt haben ihn Figuren wie Joseph Beuys, der mit unkonventionellen künstlerischen Methoden auf radikale Weise für gesellschaftlichen Wandel eintrat. Inspirierend war für ihn auch das Multitalent Buckminster Fuller, der unter anderem als Architekt, Designer, Philosoph und Schriftsteller tätig war und sein Leben als Experiment verstand – er wollte herausfinden, was ein Individuum dazu beitragen kann, die Welt zum Nutzen der Menschheit zu verändern.

 

Den künstlerischen Ansatz hat sich Daniel Kerber bewahrt. Aus seiner Sicht haben ihn die verschiedenen Formen der interkulturellen Arbeit nicht von dem entfernt, was ihn damals antrieb, als er begann, die informelle Architektur in Slums und Flüchtlingslagern zu untersuchen. „Auch wenn es jetzt nicht mehr um große internationale Ausstellungen geht – die Denkweise oder Arbeitsweise ist total gleich. Ich hab einfach nur den Wirkkontext geändert“, erklärte Kerber in einem weiteren Interview mit der Zeitschrift „Original“ (Ausgabe 29/2021). Seine Aktivitäten – ob in der Ferne, im Berliner Kiez oder im strategischen Bereich – könnte man durchaus als eine Art Gesamtkunstwerk betrachten.

 

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Introbild: [Foto: © MTS]

Upcycling-Projekt im jordanischen Flüchtlingscamp Za’atari: Aus alten UNHCR-Zelten entstehen Taschen